Wenn wir als Designer für unsere Kunden ein Brand Design entwickeln, gibt es ganz unterschiedliche Ansätze, wie man herauskitzeln kann, was den Kunden auszeichnet, welche Ziele er verfolgt und wie wir das Ganze visuell übersetzen können. Neben den klassischen Methoden gibt es auch Ansätze, die ein bisschen ungewöhnlicher sind – oder einfach interessanter.
Ich habe mir heute ins Interview Sonja Maichl von Sonja Studio eingeladen. Mit ihr spreche ich über das Thema Archetypen und darüber, wie sie diese nutzt, um ein cooleres, spezifischeres und genaueres Brand Design für ihre Kund*innen zu entwickeln.
Gudrun: Hi Sonja, schön, dass du da bist.
Sonja Maichl: Hallo Gudrun, schön, dass ich hier sein darf. Vielen lieben Dank für die Einladung – und dafür, dass ich über Archetypen-Branding sprechen darf. Das ist eines meiner Lieblingsthemen und ich freue mich sehr.
Gudrun: Sehr gut. Dann lass uns direkt damit loslegen, dass du dich vorstellst: Wer bist du, wo kommst du her und was ist dein Designschwerpunkt?
Sonja Maichl: Von meiner Ausbildung her bin ich Grafikdesignerin. Ich habe Zusatzausbildungen im Webdevelopment gemacht und mich in letzter Zeit viel mit Online-Marketing beschäftigt – für mich gehört das alles zu einem ganzheitlichen Ansatz. Branding ist mehr als nur ein Logo, es umfasst die ganze Kommunikation.
Ich habe mich früh auf Branding und Brand Design spezialisiert und dabei gemerkt: Es geht nicht nur darum, eine visuelle Identität zu gestalten, sondern auch zu schauen, wie sich diese Identität später in der Markenkommunikation ausdrücken kann. Branding ist ein langfristiger Prozess, den man als Unternehmer*in geht. Die visuelle Identität ist die Grundlage, aber sie muss sich fortsetzen.
Meine Zielgruppe sind vor allem Selbstständige und Kleinunternehmen, und mir ist wichtig, dass das Menschen sind, die mit einer echten Mission unterwegs sind. Ich bin selbst so ein Mensch – bei mir muss alles Sinn und Bedeutung haben. Ich muss wissen, warum ich etwas mache.
Wenn jemand zu mir kommt und sagt: „Ich verkaufe jetzt XYZ, weil man damit Geld verdienen kann“, dann ist das nicht mein Kunde. Ich arbeite lieber mit Menschen, die sagen: „Ich habe ein Herzensbusiness“, „ein Seelenbusiness“ – oder wie man es auch nennen mag. Purpose ist so ein Wort, das viele benutzen. Aber ich denke, es ist klar, was gemeint ist.
Gudrun: Sinnstiftend, finde ich, trifft es ganz gut.
Sonja Maichl: Genau – wirklich sinnstiftende, nachhaltige Unternehmen, die mehr wollen als nur „höher, schneller, weiter“. Die auch andere mitnehmen wollen. Und vielleicht soll ich noch erzählen, wie ich arbeite und was mir dabei wichtig ist?
Gudrun: Ich finde, das gibt einen guten Einblick, wie du tickst – und warum dich das Thema Archetypen so interessiert.
Sonja Maichl: Ja, genau. Ich habe mir ein paar Notizen gemacht, weil das der schwierigste Teil ist – aber auch der wichtigste. Ich habe es vorhin schon gesagt: Ich brauche immer Sinn in dem, was ich tue. Ich habe früher in ganz anderen Bereichen gearbeitet – ich bin erst seit 2023 Designerin, also jetzt seit zwei Jahren.
Vorher habe ich im gemeinnützigen Bereich gearbeitet, unterrichtet, in Schulen kreative Projekte betreut und in der beruflichen Bildung z. B. Menschen beim Schulabschluss unterstützt. Und ich habe gemerkt: Der rote Faden war immer, dass ich das Potenzial in Menschen gesehen habe – und helfen wollte, das zu verwirklichen. Heute mache ich das immer noch – nur anders: Keine Schulabschlüsse mehr, sondern Business-Babys, wie ich gern sage, die ich helfe, auf die Welt zu bringen.
Mein Warum hat sich eigentlich nicht verändert – nur die Ausdrucksform.
Gudrun: Ja, ein Business zu gründen – mit der eigenen Idee rauszugehen – ist ja auch ein elementarer Schritt – so wie der Schulabschluss einer ist.
Sonja Maichl: Genau. Oder auch die Berufswahl – da habe ich viel gemacht in der Berufsorientierung. Viele trauen sich Dinge nicht, obwohl sie spüren: Das ist eigentlich meins. Und wenn man sich mit einem Herzensthema selbstständig macht – das nicht jeder gut findet – braucht man Mut. Und Begleitung. Ich sehe meine Rolle so: Ich begleite die Menschen. Ich mache nicht nur ein Logo und tschüss. Das wird mir auch zurückgespiegelt – dass ich als unterstützend wahrgenommen werde. Und das ist toll.
Mir ist auch wichtig, ethisch zu handeln. In letzter Zeit ist „authentisch“ ein totales Buzzword geworden. Jeder will „authentisch“ sein. Aber ich denke mir oft: Das sagt nicht viel aus. Du kannst auch ein authentisches Arschloch sein. Wenn dein „authentisches Selbst“ ist, dass du andere über den Tisch ziehst oder mit Angstmarketing arbeitest – dann bist du authentisch. Aber nicht mein Wunschkunde.
Deshalb sage ich lieber: ethisch statt nur authentisch. Beides ist wichtig – aber Ethischkeit gibt für mich den Ausschlag.
Ich finde es wichtig, dass man sich nicht beeinflussen lässt von all dem Marketingdruck – von Wegen „du musst das machen, um erfolgreich zu sein“. Vielmehr sollte man für sich selbst definieren, was Erfolg bedeutet – und wie man den erreicht, ohne die eigene Seele zu verkaufen. Dafür braucht es oft jemanden an der Seite, der einen gut begleitet.
Gudrun: Das Thema Archetypen ist da ein spannender Zugang. Aber für alle, die keine Ahnung haben: Was bedeutet „Archetypen“ überhaupt?
Sonja Maichl: Das ist ein bisschen abstrakt, deshalb habe ich ein Zitat von C.G. Jung mitgebracht, der viel dazu geschrieben hat:
„Archetypen sind kollektive unterbewusste Bilder, die überall auf der Erde als Protagonisten von Mythen auftreten. Ihre Gestalt ist fest in unserer Psyche verankert.“
Klingt erstmal abgefahren. Es gibt ein sogenanntes kollektives Unbewusstes – wie ein Menschheitsgedächtnis. Ich erkläre das gerne so: Du kommst auf die Welt, dein Harddrive ist noch leer – aber du hast diese vorinstallierte App namens kollektives Unbewusstes. Da sind bestimmte Bilder und Bedeutungen gespeichert, die du intuitiv verstehst, ohne sie erst gelernt zu haben.
Das ist spannend, weil viele Design-Elemente kulturell geprägt sind: Farben, Schriftarten, Symbole. Die wirken in jeder Kultur anders. Aber Archetypen wirken kulturübergreifend – sie sind tiefer verankert. Ein Beispiel: Wenn in 50.000 Jahren jemand eine Statue von Maria mit dem Jesusbaby findet – auch wenn man die Geschichte nicht kennt, wird man verstehen: Das ist eine Mutterfigur, eine verehrte Frau. Das ist dann ein Archetyp. Er wird verstanden, ohne dass der kulturelle Kontext nötig ist.
Gudrun: Und wie schlägst du jetzt den Bogen zum Design? Wie bringst du das in deine Arbeit als Designerin ein?
Sonja Maichl: Es gibt im Branding und Marketing sozusagen zwölf Archetypen, die auch auf Jung zurückgehen – aber die gibt es natürlich auch in anderen Systemen: religiösen, spirituellen, in der Astrologie, im Tarot. Du hast mal einen Workshop gemacht über das limbische Modell, glaube ich – das arbeitet eigentlich auch mit archetypischen Prägungen. Christina hat Human Design gemacht – da geht’s auch um Archetypen.
Und im Branding gibt’s eben diese zwölf Haupttypen. Die kann man auch noch in Untertypen aufteilen. Wenn man die kennt, kann man sie nutzen – um das visuell auszudrücken, aber auch in der gesamten Markenkommunikation. Also: Wie klingt eine Brand Voice? Auf welche Art kommuniziert man – und wen spricht man damit an?
Gudrun: Okay, kannst du das noch konkreter machen?
Sonja Maichl: Noch konkreter? Ich kann dir mal erzählen, welche das sind, diese zwölf, und dann Beispiele nennen, wie man damit arbeiten könnte. Es sind zwölf und die sind in vier Gruppen eingeteilt, die jeweils ein Grundbedürfnis teilen – das sich dann aber in unterschiedlicher Ausprägung zeigt und eben diesen Archetyp prägt.
Erste Gruppe: Veränderung & Vermächtnis
Das erste Grundbedürfnis, also die erste Gruppe, sind die, die Veränderung wollen und die irgendwie ein Vermächtnis hinterlassen wollen. Also die irgendwas schaffen wollen, das Veränderung bewirkt – und dadurch sozusagen ihre Spuren hinterlassen in der Welt.
Und das sind:
- Hero (oder Held*in – ich sag’s lieber auf Englisch, weil das auf Deutsch immer ein bisschen anstrengend ist),
- Rebel oder auch Outlaw (also Rebell, Rebellin),
- und Magician (also Magierin oder Zaubererin).
Da merkt man auch schon ein bisschen den Unterschied:
Was ist jetzt eine Hero Brand? Zum Beispiel Marken, die dir erzählen: Du kannst alles schaffen. Just do it. Superman, Nike … Also Superman ist jetzt keine Marke, das ist eine Figur – aber der kann ja trotzdem so einen Archetyp verkörpern. Da geht’s eben darum, Erfolg zu erreichen, indem man eine Challenge meistert. Das ist so eine typische Hero-Sache – und so kann ich dann auch kommunizieren.
Gudrun: Und auch immer dieses über sich hinauswachsen und etwas annehmen, was man eigentlich für unmöglich gehalten hat.
Sonja Maichl: Genau. Hero, Held*in ist eigentlich, glaub ich, so der Grundarchetyp in allem.
Die Heldenreise ist ja auch nochmal so ein ganz eigenes Thema. Aber trotzdem ist das hier auch ein eigener Archetyp – das ist so ein bisschen doppelt und schwierig, aber ist okay.
Dann: Rebel oder auch Outlaw.
Da geht’s meistens darum, irgendwas zu überwinden, was nicht mehr funktioniert – ein System, eine Struktur, irgendwas aufzubrechen. Aber nicht um der Zerstörung willen – also „Rebel without a cause“ ist nicht das Ding. Die haben schon ihren Kurs – und das ist auch wichtig. Die wollen das ja ersetzen durch etwas, das besser funktioniert.
Da kannst du an richtig disruptive Geschäftsmodelle denken – zum Beispiel Airbnb. Die sagen: Das mit den Hotels und so – ist doch irgendwie alles Quatsch. Ich mach jetzt hier ’ne Luftmatratze, lass da Leute schlafen, dann mach ich eine App draus – und dann kann das jeder machen. Und hey, ups, wir haben die Hotelindustrie ein bisschen zerstört – aber wir haben was Cooleres gemacht.
Gudrun: Ja, das ist so: den Status quo in Frage stellen.
Sonja Maichl: Genau. Oder auch Marken wie Greenpeace. Da geht’s auch um Veränderung im ökologischen Bereich – aber auf eine sehr rebellische Art. Oder sowas wie Uber. Taxi-Industrie? Wir haben jetzt was Besseres. Oder die ganzen Carsharing-Modelle – die ersetzen irgendwas Altes durch was komplett Neues, sind innovativ, denken einfach ein Geschäftsmodell neu.
So kann man sich das vorstellen. Also nicht: Leute, die einfach gegen alles sind – Rebel klingt oft so ein bisschen wie so ein Teenager, der keinen Bock auf die Welt hat. Aber das ist nicht die Energie. Das ist eigentlich cool. Deswegen ist es mir wichtig, das nochmal zu sagen.
Dann: Magician.
Der hat auch das Bedürfnis Veränderung und Vermächtnis, aber da ist immer so ein bisschen ein Element drin, das magisch wirkt – weil Leute es vielleicht nicht verstehen. Wie funktioniert das? Was ist da eigentlich passiert?
Da ist eine Transformation – nicht ganz greifbar, aber man sieht am Ende das Ergebnis und denkt: Wow, krass, okay. Das ist so ein bisschen dieses: „If you can dream it, you can do it.“ Also Dinge möglich machen, wo man dachte: Das geht vielleicht gar nicht. Disney wird da oft genannt. Das ist halt eine sehr magische Welt. Aber ich glaub, dass auch viele Personal Brands diesen Archetypen verkörpern – also alle, die irgendwie eine Art von Transformation verkaufen.
Da muss man aber auch aufpassen – gerade im Coaching-Bereich oder in so spirituellen Bubbles, wenn Dinge versprochen werden, die man nicht halten kann. Jeder Archetyp hat auch seine Pitfalls, also seine Achillesferse – eine Schattenseite. Und das ist zum Beispiel beim Magician: dass man vielleicht zu viel verspricht, sich da überschätzt. Aber das ist natürlich eine Gefahr, die irgendwie immer besteht – aber hier besonders, wenn man etwas verkauft, das nicht so greifbar ist.
Wenn ich jetzt zum Beispiel sage: „Branding“ – ist ja auch so ein bisschen so, ne? Wenn ich sage: „Wir rücken jetzt deine Brandessenz visuell aus“ – ja, das kann sein, dass das klickt, aber es könnte auch nach hinten losgehen, wenn die Person am Ende sagt: „Nee, irgendwie seh ich mich da nicht.“ Weißt du? Das ist eigentlich ein krasses Versprechen.
Zweite Gruppe: Menschliche Beziehungen & Verbindungen
Die nächste Gruppe ist eigentlich relativ einfach zu verstehen, finde ich. Da geht’s um menschliche Verbindungen und Beziehungen.
Und da gibt’s wieder drei Archetypen.
- Lover
- Regular Person / Everyperson
- Caregiver
Lover – also Liebende, Liebender.
Das ist ein sehr emotionaler, leidenschaftlicher Archetyp, und das Grundbedürfnis ist so etwas wie Intimität, zwischenmenschliche Nähe. Es geht viel um Schönheit und Ästhetik. Also astrologisch ist das total Venus-typisch, würde ich sagen – oder nicht nur astrologisch, auch mythologisch. Aber das hängt ja eh zusammen. Ich glaube, das ist eigentlich ziemlich klar – da muss man gar nicht so viel erklären.
Typische Marken sind viele aus dem Beauty-Bereich, Schmuck, auch Mode – also vieles, was ein bisschen luxuriös ist. Es geht darum, Ästhetik zu feiern. Zum Beispiel: Ich habe einen hochwertigen Stoff, das fühlt sich gut an, wenn ich ihn trage, und dadurch fühle ich mich gut. Emotionalität ist hier auch ein großes Thema.
Dann der zweite Archetyp in dieser Gruppe – da gibt es so viele Namen. Auf Deutsch heißt er Jedermann, was ich irgendwie doof finde, weil’s wieder nicht „Jederfrau“ ist. Ich sag gern Everybody, oder Regular Person – einfach jemand, der sich selbst nicht so wichtig nimmt, sondern mehr Wert auf Gemeinschaft legt.
So jemand, der sagt: Hey, zusammen sind wir stärker als allein, und dem Dinge wichtig sind wie Freundschaft, Zugehörigkeit, Community. Das ist keine Hauptperson, kein Star – sondern jemand, für den das Miteinander zählt.
Viele Marken, die Zugänglichkeit in den Mittelpunkt stellen, gehören hierher. Denen ist wichtig, dass Dinge einfach sind, nicht kompliziert, und dass sie für alle zugänglich sind – also inkludierend. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass man sagt: Mir ist eine barrierefreie Website wichtig – nicht nur, weil das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz das bald vorschreibt, sondern weil ich grundsätzlich finde, dass jede:r Zugang haben sollte.
Oder auch im Preis: Wir wollen nicht super exklusiv sein. Zum Beispiel IKEA – da kann einfach jede:r hinkommen und ein Regal finden. Es gibt „Billy“, super günstig, aber auch hochwertigere Varianten aus Massivholz. Da ist einfach für jeden etwas dabei.
Gudrun: Wer ist der Dritte in dieser Gruppe?
Sonja Maichl: Der Dritte in der Gruppe ist cool, das ist der Jester. Also, Narr oder Närrin auf Deutsch. Das ist jemand, der einfach gern Spaß hat und der diese Verbindung aufbaut durch Witze, Freude, Geselligkeit, alles relativ leicht nimmt, einfach gerne so ein bisschen verspielt ist, Humor hat.
Gudrun: Ich denke gerade an Kreuzfahrtschiffe, ich denke an Reise, an Party und Jugendreisen und sowas.
Sonja Maichl: Ja, so ein bisschen, genau. Oder eben auch so Leute – ich weiß nicht – so ein Jim-Carrey-Typ, der einfach rumläuft, seine Witze macht, und das ist eben seine Art, wie er Verbindung aufbaut.
Und es gibt Marken, die setzen das richtig gut um. Ich wohne ja in Berlin, und da gibt es zum Beispiel die BVG. Vielleicht kennen die nicht alle, aber wenn man sie mal googelt, sieht man’s: Die haben ziemlich witzige Plakate, in denen sie sich selbst aufs Korn nehmen – und auch die Leute, die mit ihnen fahren.
Gudrun: Das ist der öffentliche Nahverkehr bei euch?
Sonja Maichl: Ja, genau, das sind die Berliner Verkehrsbetriebe. Die haben so ein gelbes Herz als Logo, und als Tagline steht da irgendwas wie: „Weil wir dich lieben.“ Das klingt zwar erst mal ein bisschen nach Kitsch, aber tatsächlich ist das alles ziemlich witzig gemacht – wirklich humorvoll, durchweg.
Gudrun: Humor als Kommunikationsmittel.
Sonja Maichl: Genau, also Humor als Verbindungselement – Humor, um Verbindung zu schaffen.
Dritte Gruppe: Ordnung, Struktur & Stabilität
Sonja Maichl: Die dritte Gruppe steht total auf Ordnung und Struktur – meine absolute Lieblingsgruppe … vielleicht. Nein, im Ernst: Ordnung und Struktur haben ja einen Sinn. Und seit ich Notion nutze, bin ich auch überzeugt, dass das für mich richtig gut funktioniert. Aber es ist nicht mein wichtigstes Thema. Für diese Gruppe aber ist Ordnung und Struktur zentral.
Der erste Archetyp darin ist der Ruler – also Herrscher oder Herrscherin.
Das heißt jetzt nicht automatisch, dass man anderen sagen will, was sie tun sollen, oder dass man irgendeine autoritäre Rolle einnimmt. Es geht vielmehr darum, Verantwortung zu übernehmen, vielleicht auch Kontrolle über Dinge zu behalten, um Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten.
Es geht nicht darum, Macht einfach zu haben, weil man’s geil findet – wobei das vielleicht auf manche zutrifft. Aber ich habe ja gesagt: Es gibt von allen Archetypen gesunde und ungesunde Ausprägungen.
Und in der gesunden Ausprägung bedeutet dieser Archetyp einfach, eine Führungsperson zu sein.
Und das kann jede:r sein – man muss dafür kein:e Topmanager:in sein. Auch als Designer:in zum Beispiel, wenn man mit einem klar strukturierten Prozess arbeitet. Wenn man Vorgaben macht, die Kund:innen an die Hand nimmt und ihnen hilft, selbst Struktur zu schaffen.
Gudrun, ich sehe da manchmal ein bisschen was von dir – oder? Ich glaub, das interessiert dich.
Gudrun: Ich mag Strukturen, ich mag Dinge in Strukturen bringen, weil es mir das Leben leichter macht.
Sonja Maichl: Ja, voll, genau. Und für andere ja auch. Du machst das ja auch für deine Kundinnen genauso. Und das ist ja auch das Wichtige. Das ist dann eben auch ein Mehrwert, den sie bei dir auf jeden Fall mitnehmen werden.
Gudrun: Ich sage immer, die Infografikerin in mir sieht sofort die Systeme überall.
Sonja Maichl: Ja! Und das ist vielleicht auch so ein Thema – also kleine Exkursion jetzt – aber ich finde, egal welchen Hauptarchetypen man hat (und man kann ja auch mehrere haben), man kann von allen was lernen. Jede:r kann vom Jester lernen, dass es manchmal gut ist, sich selbst nicht so ernst zu nehmen und einfach mal zu sagen: „Komm, wir lachen jetzt mal drüber.“ Und jede:r kann vom Ruler-Archetypen lernen, dass es sinnvoll ist, sich zu strukturieren oder klare Prozesse zu haben.
Das ist ja auch etwas, mit dem man unabhängig vom Branding arbeiten kann – einfach für sich selbst.
Sich mal zu fragen: Welche Qualitäten würde ich gerne stärker bei mir entwickeln? Ein Stück weit auch, um die eigene Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Weil ich finde, wenn man selbstständig ist, dann hängt das immer auch mit Persönlichkeitsentwicklung zusammen. Und man braucht eine gewisse Qualität, die man vielleicht als Self-Leadership beschreiben kann. Ich glaube, das kommt bei diesem Ruler-Thema ganz stark durch. Wenn man das nicht hat oder sich da nicht weiterentwickelt, dann wird’s oft schwierig.
Dann sitzt man daheim, weint, weil alles chaotisch ist, das Finanzamt schon wieder einen Brief geschickt hat, keine neuen Anfragen kommen – und alles irgendwie kacke ist. Aber da muss man sich halt in solchen Momenten oft selbst aus dem Sumpf ziehen. Deswegen sind solche Qualitäten wichtig – selbst wenn Ordnung und Struktur nicht mein eigenes erstes Thema ist, sehe ich total, wie wichtig das ist. Ich finde, jede:r kann sich da was rausziehen und sagen: „Okay, da möchte ich mal ein bisschen dran arbeiten.“
Gudrun: Ja, genau. Wer ist der Zweite in dieser Gruppe?
Der zweite in der Ordnung-und-Struktur-Gruppe ist der Caregiver.
Das ist eigentlich auch relativ klar: Es geht darum, das Gemeinwohl zu unterstützen, fürsorglich zu sein, empathisch zu sein. So diese typischen Nächstenliebe-Brands und natürlich viele, die in helfenden oder heilenden Berufen tätig sind, haben oft diese Grundprägung.
Heißt nicht, dass es immer so sein muss – aber ich glaube, wenn ich in einem heilenden Beruf bin, ohne diesen Archetypen irgendwo in mir, dann fällt es mir vielleicht schwer. Aber man kann ihn auch gut mit anderen kombinieren.
Angenommen, ich wär jetzt Krankenschwester – kann ja sein – dann bin ich voll der Caregiver, aber hab auch voll die Ruler-Qualitäten: Die, die dann sagt: „Du legst dich jetzt ins Bett und stehst nicht auf, bis du wieder gesund bist – und nimmst deine Tabletten.“ Oder es gibt die anderen, die sich ans Bett setzen und sagen: „Erzähl mir mal deine Lebensgeschichte.“ Die bauen dann über Verbindung Nähe auf.
Oder die, die jeden Tag einen lustigen Witz machen – ich hab z. B. einen Zahnarzt, der ist immer sehr witzig. Das finde ich super – das lockert das Ganze auf, bevor er mir im Mund rumpult und es wehtut.
Man kann da ganz viele verschiedene Flavours reinbringen – und das ist das Coole. Aber grundsätzlich ist das viel der helfende Bereich: Rotes Kreuz, UNICEF – oder Leute sagen immer gleich Mutter Teresa, ne? Aber du weißt, was ich meine.
Und dann gibt’s noch eine dritte Figur in dieser Gruppe – und das fand ich erst ein bisschen überraschend. Ich hab’s zuerst nicht ganz verstanden, was das mit Ordnung und Struktur zu tun hat –
aber irgendwie dann doch: Der Creator.
Gudrun: Denn im ersten Moment denken wir, das wären gegensätzliche Punkte.
Sonja Maichl: Eigentlich denkt man ja immer: Kreative sind chaotisch. Und Creator ist natürlich ein Archetyp, mit dem wir als Designer:innen uns auf jeden Fall auseinandersetzen – und schauen müssen: Wie viel davon verkörpere ich? Inwiefern? Und mit welchen anderen Archetypen kombiniere ich das vielleicht? Aber das ist eben so eine Grundprägung. Das heißt aber nicht, dass wir deswegen alle gleich sind oder unsere Personal Brands alle gleich aussehen.
Im Kern geht’s da eben um Kreativität, Innovation, um Vorstellungskraft – und daraus Dinge zu entwickeln, die einen ästhetischen Ausdruck finden. Und ich glaube, dieser Aspekt von Ordnung und Struktur kommt hier rein, weil – ich denke, das kennen wir alle – oftKund:innen zu uns kommen, die noch gar nicht richtig wissen, was sie wollen. Dann liegt da ein chaotisches Briefing mit sieben völlig unterschiedlichen Designbeispielen – und wir müssen erstmal Ordnung reinbringen und herausfinden: Was willst du eigentlich wirklich? Du erzählst mir das eine, aber vielleicht willst du etwas ganz anderes. Und in dem Sinne, glaube ich, habe ich dann verstanden, was Creator mit Ordnung und Struktur zu tun hat.
Gudrun: Was ich total spannend finde: Wenn man sich mal mit erfolgreichen Kreativen beschäftigt – nicht nur aktuell, sondern über Jahrhunderte hinweg – dann sieht man, wie extrem strukturiert viele von ihnen eigentlich waren. Es gibt da einige Bücher, die genau solche Eigenheiten beschreiben. Und das ist wirklich faszinierend.
Ob das jetzt ein Stephen King ist, der sagt: „Ich schreibe jeden Tag – egal ob Weihnachten ist oder mein Geburtstag. Immer die gleiche Anzahl Wörter. Und wenn ich fertig bin, bin ich fertig.“ (Das erklärt, warum dieser Mensch so unfassbar produktiv ist.) Oder andere, die immer zur gleichen Uhrzeit ihren Tee trinken, dieselbe Runde um den See gehen, dieselben Routinen pflegen – das zieht sich wirklich durch die Jahrhunderte.
Und ich finde: Das ergibt total Sinn. Ich sag ja immer: Alles gleicht sich aus. Wenn ich irgendwo sehr viel Plus habe – also z. B. sehr viele Ideen, sehr kreativ, sehr expressiv – dann habe ich irgendwo auch ein Minus, das ich ausgleichen muss. Und das kann eben Struktur sein. Immer gleiche Abläufe, über die ich nicht mehr nachdenken muss.
Wenn ich jeden Tag zur gleichen Zeit dieselben Dinge mache, kostet mich das 0 Kapazität. Dann habe ich Energie frei für andere Dinge – für kreative Prozesse. Denn was mich wirklich Kapazität kostet, ist das ständige Überlegen: Was mache ich als Nächstes? Also für mich ist das total logisch, warum Creator in dieser Struktur-Gruppe drin ist.
Sonja Maichl: Ja, total. Das ist auch was, das ich erstmal selbst verstehen musste, gerade als ich neu im kreativen Beruf war. Kreativität ist oft chaotisch, die kommt nicht auf Knopfdruck, der Output passiert irgendwie auch intuitiv, oft unterbewusst. Aber wenn man sich dann eine Struktur schafft, ist das wie ein Container – und das Kreative ist der Content.
Wenn man aber keinen Container hat, dann fließt das alles einfach weg. Kreativität funktioniert besser in Grenzen.
Auch im Branding macht das total Sinn – gerade, wenn ich zum Beispiel an UI-Design denke. Da ist es so sinnvoll, mit Designsystemen zu arbeiten. Also wirklich mit Guidelines, die sagen: „Das ist deine Schriftart. So sieht dein Button aus. Diese Größe hat deine Überschrift.“
Es geht ja nicht darum, jedes Mal das Rad neu zu erfinden – das kann man gar nicht und soll man auch gar nicht. Es geht darum, etwas zu erschaffen, das auch systematisch Sinn macht. Und durch diese Struktur entsteht dann Einheitlichkeit – und genau die ist im Branding ja super wichtig. Man braucht etwas, das kohärent ist – und das schafft man eben nur mit Ordnung und Struktur.
Gudrun: Ich bin ganz fein an der Stelle.
Sonja Maichl: Ja, wie gesagt – für mich hat das ein bisschen gedauert, bis ich das verstanden habe,
aber jetzt bin ich da eigentlich auch ziemlich klar. Genau. Okay – nächste Gruppe!
Vierte Gruppe: Spirituelle Erfüllung
Sonja Maichl: Die letzte Gruppe hat das Grundbedürfnis, spirituelle Erfüllung zu finden. Klingt jetzt erstmal ein bisschen abgefahren – aber da geht’s eben nicht so sehr darum, Ergebnisse zu produzieren,
oder Verbindungen aufzubauen, oder Ordnung zu schaffen, sondern wirklich um etwas anderes: spirituelle Erfüllung.
Klingt vielleicht ein bisschen schräg, aber im Kern geht’s darum, einen Sinn in dem zu finden, was man tut. Und da fühle ich mich direkt ein bisschen verbunden mit dieser Person oder mit dieser Gruppe.
Gudrun: Wie sind da die 3 Untertypen?
Sonja Maichl: Die drei Untertypen sind – ich fang jetzt mal mit einem an, wir haben’s ja die ganze Zeit so gemacht, dass wir sie nacheinander durchgehen – also: der erste ist der Sage, also der/die Weise.
Das ist eigentlich relativ klar. Das ist eine Person, die nach Wissen strebt und nach Weisheit. Wissen und Weisheit, das ist ja auch nochmal was Unterschiedliches. Da geht’s auch um die Suche nach Wahrheit und darum, verschiedene Perspektiven zu verstehen, die Welt zu begreifen – und dann, je nach Ausprägung, dieses Wissen auch gern mit anderen zu teilen.
Gudrun: Ich denke gerade an Universitäten und sowas. Also wenn man sich anguckt, wie die sich selber darstellen in ihrer Brand, in ihrem Auftreten.
Sonja Maichl: Und dann kann es auch darum gehen, Wissen zugänglich zu machen – also zum Beispiel so etwas wie Wikipedia. Es kann sein, dass man forscht. Es kann sein, dass man lehrt – oder beides. Ich glaube, es ist relativ klar, in welchen Ausprägungen dieser Archetyp vorkommen kann. Das reicht von Lehrerin über Wissenschaftlerin bis hin zu Motivational Speakers – da ist alles Mögliche drin.
Der zweite Archetyp – ich mache es jetzt kurz, weil ich finde, das ist hier relativ eindeutig – ist der Explorer, also Entdeckerin oder Abenteurerin. Da geht es um Freiheit, da geht es um Erfahrungen.
Da geht es auch darum, dass mal der Weg das Ziel ist – und nicht immer nur das Ziel das Ziel ist.
Man geht mit einer bestimmten Neugier los und sagt: „Ich schaue jetzt einfach mal, was passiert – und was ich dann daraus mache.“ Die Erfahrungen, die ich unterwegs mache, sind dann eben genau die richtigen. Es muss nicht immer alles so laufen, wie ich das geplant habe. Es geht viel um das Erkunden von neuen Möglichkeiten, neue Eindrücke gewinnen. Klar, man denkt sofort ans Reisen – und Reisen ist auch ein großer Teil davon – aber es kann auch was anderes sein.
Zum Beispiel bei mir, in meinem beruflichen Weg: Ich habe verschiedene Sachen gemacht,
und auch wenn ich jetzt sage, ich unterrichte nicht mehr – zumindest nicht an Schulen oder in der beruflichen Bildung – ist das trotzdem eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Das war total cool für mich. Ich habe auch viel gelernt und vor allem Menschen kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte – zum Beispiel damals, als ich mit Geflüchteten gearbeitet habe.
Das waren Lebenserfahrungen, die ich relativ nah mitbekommen habe, die sonst total außerhalb meiner Welt gewesen wären. Und das ist für mich total wertvoll. Klar, das Gehalt war im öffentlichen Bereich schlecht – aber die Erfahrungen, die ich da gesammelt habe, dachte ich mir: Okay, das war’s wert. Das hat nicht jede*r.
Und bei Marken, die typischerweise zum Explorer passen – da denkt man natürlich an Outdoor-Brands: North Face, Patagonia oder Jeep. Jeep: Offroad fahren – cool. Ganz andere Energie als z. B. ein Volvo. Volvo ist eher der Caregiver, der sagt: „Alles ist sicher, deine Familie ist gut behütet in diesem Fahrzeug.“ Und Jeep sagt: „Guck mal, da ist ein Berg – vielleicht kommst du da mit dem Jeep hoch. Probier’s mal aus.“ Beides sind Autos – ja. Aber komplett unterschiedliche Energie. Und das ist auch das Coole an diesen Brand Archetypen, finde ich: Man kann damit super klar kommunizieren. Es ist einfach direkt verständlich: Für wen ist ein Jeep cool – und für wen ein Volvo.
Gudrun: Und wie unterschiedlich müssen die Marken aussehen? Wie unterschiedlich sind die Zielkunden, wie unterschiedlich sind die Anliegen, die vermittelt werden müssen? Das funktioniert automatisch.
Sonja Maichl: Und jeder fühlt sich dann einfach zu dem hingezogen, was zu einem passt. Man weiß vielleicht gar nicht genau, warum das so ist, aber es gibt eben Leute, die sagen: „Ich bin pro Mercedes“, und andere sagen: „Ich bin Team BMW“ – oder was auch immer. Und genauso ist das bei allen anderen Produkten – und auch bei Personal Brands. Manche Leute sind einfach auf deiner Wellenlänge, und andere eben nicht.
So ein Archetyp ist dabei einfach ein Layer, also eine Schicht davon, warum jemand auf deiner Wellenlänge ist. Das ist natürlich nicht das Einzige, was dich ausmacht, aber eben ein Teil davon. Es ist wie so eine Grundenergie, mit der man in der Welt erscheint, würde ich sagen.
Okay, letzter Typ. Letzter Typ… das klingt schon fast wie eine Beleidigung. 😄 Also, der letzte Archetyp in unserer Reihe – auch mit dem Grundbedürfnis nach spiritueller Erfüllung – ist The Innocent, also der oder die Unschuldige.
Das ist ein Archetyp, der stark von Idealismus geprägt ist, oft sehr optimistisch, vielleicht sogar von anderen als ein bisschen naiv wahrgenommen wird. Es geht sehr stark um Einfachheit und darum, im Kleinen das Glück zu finden und im Moment Erfüllung zu erleben. Es ist genau diese Haltung von Achtsamkeit, von Mindfulness. Alles, was in diese Richtung geht, findet man da wieder.
Gudrun: Ich denke gerade an Meditations-Apps und sowas.
Sonja Maichl: Ja, genau, das kann da total gut dazu passen. Ich hab auch noch ein paar andere Beispiele auf meiner Liste – mal schauen, ob da noch was Wichtiges dabei ist. Das kann übrigens auch bei Nahrungsmitteln sein oder zum Beispiel im Bereich Beauty.
Ich hab hier Dove aufgeschrieben als Marke. Finde ich auch cool, weil die ja damals ziemlich revolutionär eine Kampagne gemacht haben, wo sie einfach mal gesagt haben: Wir zeigen jetzt mal echte Frauenkörper. Nicht immer alles gefotoshopt auf irgendein unrealistisches Schönheitsideal, sondern einfach dieses „Nee, wir haben eine Creme – und damit kann sich jeder eincremen.“ Und dafür braucht man jetzt nicht irgendwelche Maße, die irgendein gesellschaftlicher Standard als perfekt darstellt. Wir zeigen einfach unsere Kundinnen, so wie sie sind.
Und damit kann man auch happy sein. Warum muss man Leuten irgendwas vorgaukeln, was so in der Realität gar nicht existiert? So wie die Leute in der Werbung sieht ja sonst niemand aus. Und Dove war wirklich mit eine der ersten Marken, die das so gemacht haben. Das ist für mich irgendwie auch total so ein „Innocent“-Ding – zu sagen: „Nö. Wir machen das jetzt einfach anders.“
Klar, da schwingt auch ein bisschen was vom „Rebel“-Archetyp mit – dieses „wir brechen mit Konventionen“ – aber das ist nicht der Hauptpunkt. Es geht nicht ums Rebellieren, sondern eher: „Wir haben eine schöne Creme, mit der man sich gut fühlen kann. Punkt.“ So einfach ist das. Und in dieser Einfachheit liegt dann das Glück. Das ist so ein bisschen die Denkweise vom Innocent. Finde ich sehr schön. Und auch sehr sympathisch.
Gudrun: Ja. Und sag mal, jetzt haben wir so einen Eindruck bekommen davon, welche unterschiedlichen Typen es gibt. Ich kann mir gut vorstellen, wenn man so zuhört, dann denkt man so: Ah ja, das kommt mir bekannt vor. Jetzt weiß ich, warum das mit dem einen Kunden so komisch war – weil wir ganz bestimmt nicht so ähnlich sind.
Wie kann ich mir denn vorstellen, dass du damit in der Praxis arbeitest?
Sonja Maichl: Ja, also bei mir ist es so, dass grundsätzlich, wenn man ein Brand Design mit mir macht, dann wird auch viel geredet, nicht nur gestaltet. Ich bin zum Beispiel jemand, ich kann mit so einem schriftlichen Briefing irgendwie gar nicht viel anfangen. Bei mir ist das immer ein relativ langer Call – mindestens einer – und je nachdem, wie man das Paket zusammenstellt, gibt es auch vorgeschaltete Strategie-Calls, in denen wir über die Markenstrategie sprechen. Da kann man dann auch über Archetypen sprechen und gemeinsam schauen, wo die Kundinnen sich wiederfinden.
Ich habe auch letztes Jahr ein Workbook erstellt, das man automatisch mitbekommt. Da ist auch ein Kapitel über Archetypen drin, wo alles noch mal erklärt wird, inklusive ein paar Literaturhinweisen. Wer Lust hat, sich damit zu beschäftigen, kann online auch sehr viel dazu finden. Ich zwinge aber niemanden dazu – es gibt auch Menschen, die sagen: „Mit dem Konzept kann ich nichts anfangen“ oder „Ich weiß einfach nicht, welcher Typ zu mir passt“. Das ist auch vollkommen okay, denn es gibt viele andere Wege, wie man ein passendes Branding gestalten kann.
Aber für die, bei denen es passt, kann das richtig cool sein. Ich hatte zum Beispiel vor Kurzem eine Kundin, bei der habe ich sofort gemerkt: Als ich das Thema Archetypen angesprochen habe, war sie total on fire. Die fand das super spannend und hat sich dann auch wirklich intensiv damit beschäftigt. Für sie wurde das zu einem richtig wichtigen Grundpfeiler in ihrem Branding-Prozess. Als sie zu mir kam war noch alles relativ unklar. Sie hatte das Gefühl: „Ich muss jetzt was machen.“ Sie wollte Coaching anbieten, aber war sich noch unsicher. Coaching machen so viele, meinte sie, und sie fragte sich: „Brauche ich nicht eine klarere Nische? Aber wie finde ich die? Und für wen mache ich das überhaupt?“
Sie hatte schon einen Namen, bei dem sie gespürt hat: Das ist der richtige. Aber sonst war vieles noch vage. Und für sie war dieses Archetypen-Thema total hilfreich. Wir haben viel darüber gesprochen, und ich habe ihr gespiegelt, was ich bei ihr wahrnehme. Ich sage aber auch immer dazu: Das kann natürlich eine Projektion von mir sein. Das ist keine endgültige Diagnose – wenn sich jemand nicht mit einem vorgeschlagenen Archetyp identifiziert, ist das vollkommen in Ordnung. Ich gebe nur meine Perspektive mit rein, und das empfinden viele als hilfreich.
Ich habe dir ja vorhin auch etwas zurückgespiegelt – einen Archetypen, den ich bei dir sehe. Und ich glaube, das ist auch nicht der einzige. Zum Beispiel finde ich, dass du auch voll Sage-mäßig unterwegs bist – wenn man dir eine Frage stellt, hast du einfach Ahnung. Aber vielleicht siehst du das selbst anders, und das ist dann natürlich auch okay. Wichtig ist, dass jede Person das für sich selbst einordnen kann.
Gudrun: Das musst du doch auch machen in dem Branding-Prozess. Du musst ja auch spiegeln, abklopfen – stimmt das jetzt, gehen wir in die richtige Richtung?
Sonja Maichl: Genau. Und für sie war das so, dass sie sich total in diesem Sage-Archetyp wiedergefunden hat und gesagt hat: „Ich will das jetzt so richtig zu meiner Marke machen.“ Und sie hat da so einen speziellen, eigenen Sage-Subtyp für sich entdeckt. Sie meinte: „Ich mache jetzt Coaching für Streberinnen.“
Gudrun: Das finde ich genial.
Sonja Maichl: Ich finde es mega abgefahren, sie macht das jetzt ganz offiziell. Und das war natürlich ein Prozess, zu überlegen: „Mache ich das wirklich?“ – weil „Streberin“ ja ein Begriff ist, der eher negativ konnotiert ist. So wurde man früher vielleicht auch mal beleidigt. Aber sie sagt: „Nein, ich möchte den Begriff für mich reclaimen“ – mir fällt gerade kein gutes deutsches Wort ein, aber sie will ihn sich aneignen und etwas Positives daraus machen.
Und das ist doch cool: Sie sagt, „Ich weiß viel, ich will viel wissen, ich lerne gerne, ich mag es, kompetent zu sein und mit Leuten zu arbeiten, die auch kompetent sind.“ Diese ganzen Dinge. Und sie hat auch gesagt: „Gerade Frauen, die diesen Typus verkörpern, haben oft Probleme im Beruf – egal ob selbstständig oder angestellt.“ Da spielt viel rein: Perfektionismus zum Beispiel, oder das Gefühl, dass man eigentlich gute Arbeit macht, aber es fühlt sich nicht richtig an. Oder man traut sich nicht, sich wirklich zu zeigen – aus Angst, als „Streberin“ oder sonst was abgestempelt zu werden.
Und sie hat gesagt: „Nö, ich mach das jetzt.“ Sie hat jetzt eine ganz klare Vorstellung, wem sie helfen möchte, was sie bewirken will. Und die Frauen, die sich mit dem Begriff „Streberin“ identifizieren können, die werden sich auch bei ihr wiederfinden. Ich liebe das – ich war total hyped, dass sie das macht und dass sie es auch durchgezogen hat. Ich finde es richtig mutig und toll von ihr.
Wir haben das dann auch visuell einfließen lassen. Zum Beispiel hat ihre Website an manchen Stellen Hintergründe mit Buchseiten – Bücher als Gestaltungselement, weil sie einfach zu ihr passen. Und ich weiß auch: Wenn sie irgendwann mal mit dem Bloggen anfängt – aktuell tut sie das noch nicht –, dann werden das richtig lange, tiefgehende Artikel. Und genau die richtigen Leute werden das feiern.
Ich hatte auch mal eine andere Kundin, mit der ich über Blogaufbau gesprochen habe. Sie meinte, „Lesen Leute überhaupt so viel?“ Und dann sage ich: „Kommt auf deine Zielgruppe an.“ Bei dieser Streberinnen-Coachin ist es so: Sie weiß genau, ihre Zielgruppe wird sich freuen, wenn es viele Infos gibt. Und die Leute, die keine Lust haben, mehr als 500 Wörter zu lesen – das sind ja auch nicht ihre Coaching-Kandidatinnen.
Und so haben wir auch das Design abgestimmt. Zum Beispiel bei den Schriftarten: Wir wollten etwas, das elegant ist, aber nicht zu feminin im klassischen Sinne. Ich finde, viele weibliche Personal Brands sehen sehr ähnlich aus – oft sehr weich, mit Serifenüberschriften, verschnörkelt. Aber wir wollten etwas mit mehr Klarheit, mit Struktur. Serifen sind zwar grundsätzlich nicht falsch für den Sage-Archetypen, gerade als Anspielung auf Buchschriftarten. Aber diese typischen, verspielten Überschriften mit viel Schnörkel – das war einfach nicht sie.
Gudrun: Die kann man ja auch gar nicht über eine bestimmte Länge durchhalten. Es gibt Schriften, die sind wahnsinnig hübsch – jetzt bewusst „hübsch“ verwendet –, aber wenn du damit eine dreizeilige Überschrift lesen musst, dann kriegst du Flöhe.
Sonja Maichl: Ja, genau. Deshalb haben wir gesagt: Das machen wir nicht, weil das einfach nicht zum Sage-Archetypen passt. Stattdessen haben wir etwas gewählt, das elegant ist, aber eben auch eine gewisse Klarheit und Struktur hat. Es hat diesen leichten kalligrafischen Touch – sieht ein bisschen so aus, als wäre es mit einer Feder geschrieben, also mit wechselnder Strichstärke, ich glaube, das nennt man Wechselzug. Keine Serifen, aber eben auch nicht zu glatt.
Ein Beispiel dafür ist die Schriftart „Optima“, die ist relativ bekannt. Die haben wir aber nicht genommen. Wir haben uns für „Minerva“ entschieden – was ich besonders lustig finde, weil sie ja diesen Sage-Archetypen verkörpert und „Minerva“ direkt Assoziationen mit Wissen, Tiefe, Klarheit hervorruft. Und das hat bei ihr total Klick gemacht. Sie meinte sofort: „Ja, das ist meins, genau so soll das aussehen.“ Und ich dachte nur: Cool, krass – das hat sich jetzt alles richtig schön zusammengefügt.
So kann man sich das vorstellen. Und wie gesagt: Das Ganze ist für sie nicht nur eine visuelle Entscheidung gewesen, sondern auch ein Anker für ihre gesamte Kommunikation. Sie weiß jetzt ganz genau, was sie macht, für wen sie das macht – und warum. Das hilft natürlich auch bei strategischen Entscheidungen. Zum Beispiel: Will ich überhaupt auf Instagram aktiv sein und mich mit schnelllebigem Shortform-Content herumschlagen? Ist das überhaupt das richtige Medium für meine Zielgruppe?
Vielleicht passt stattdessen ein Blog viel besser oder ein Podcast – etwas, das mehr Tiefe bietet. Klar, marketingtechnisch denkt man da erstmal: „Mit einem Blog brauchst du SEO und das dauert alles ewig.“ Aber das ist ja nicht die einzige Frage. Die entscheidende Frage ist: Sind die richtigen Leute überhaupt auf Instagram unterwegs und schauen sich dort Reels an?
Ich zum Beispiel bin dort gar nicht aktiv, schaue mir aber sehr gerne fundierte Blogartikel an – und kann mich auch mit dem Begriff „Streberin“ ein Stück weit identifizieren. Und auch da haben wir festgestellt: Selbst innerhalb dieses Archetyps gibt es noch Vielfalt. Manche sind eher brav, manche wissen viel, sind aber nicht brav. Das zeigt: Auch innerhalb eines Archetypen gibt es Varianz – das ist kein starres Korsett.
In ihrem Fall hat diese archetypische Arbeit wirklich ihr gesamtes Branding mitgestaltet – und das war sehr cool zu begleiten. Es war ein längerer Prozess, der locker ein halbes Jahr gedauert hat. Aber das wusste ich auch von Anfang an. Und ich finde, gerade bei einem Personal Branding für ein echtes Herzensprojekt – da muss man sich auch die Zeit nehmen. Das kann man nicht einfach mal eben in einer Woche runterreißen. Klar, wenn jemand schon alles vorbereitet hat und sagt, ich will jetzt loslegen, zack zack – dann geht das auch. Aber oft ist das eben ein Prozess.
Gudrun: Der muss aber auch ein anderes Package mitbringen.
Sonja Maichl: Genau. Aber wenn jemand sagt: „Ich brauche einfach noch etwas Zeit, um für mich diese Klarheit zu finden“, dann ist das auch total okay. Ich bin da flexibel – solange es für mich auch noch passt – und gehe den Weg gerne mit. Warum nicht? Es darf auch länger dauern. Das ist überhaupt kein Problem.
Gudrun: Ich glaube, dieses Beispiel hat gerade sehr schön gezeigt, wie hilfreich die Arbeit mit Archetypen sein kann, um eine Markenidentität überhaupt erst greifbar zu machen. Und dann ist es ja dein Job, das Ganze visuell zu übersetzen – etwa über die Auswahl der Schriften und anderer Designelemente. Kannst du das vielleicht zum Abschluss nochmal zusammenfassen? Was sind aus deiner Sicht die größten Vorteile, wenn man Archetypen berücksichtigt, bevor man mit dem Brand Design loslegt? Wo sagst du: Das ist ein echter Mehrwert im Vergleich zu anderen Konzepten?
Sonja Maichl: Ja, ich versuch’s mal. Also, Branding bzw. Brand Design ist im Grunde nichts anderes als Storytelling. Jede Marke erzählt eine Geschichte – oder mehrere – über sich selbst. Und wenn du diese Geschichte nicht bewusst erzählst, dann werden andere sich selbst ein Bild machen. Sie interpretieren das, was sie sehen. Wenn du es aber bewusst gestaltest, dann entsteht eine Brand Story, die du über alle deine Touchpoints hinweg kommunizierst – und das ist mächtig. Denn Menschen brauchen Geschichten.
Informationen nehmen wir nicht über reine Fakten auf, sondern über Emotionen. Das war schon immer so. Noch bevor Menschen angefangen haben, Dinge aufzuschreiben, haben sie sich Geschichten, Mythen, Sagen weitererzählt, um Wissen zu transportieren. Heute schreiben wir auf, visualisieren – aber im Kern bleibt es: Menschen denken in Geschichten.
Und genau da kommen die Archetypen ins Spiel. Sie helfen uns, diese Geschichten emotional und intuitiv verständlich zu machen. Sie sind ein Shortcut ins kollektive Unbewusste. Ich sage immer: Das visuelle Design ist wie eine sichtbare Manifestation der inneren Markenidentität. Es zeigt, was da ist – ohne dass man dafür viele Worte braucht.
Als Designerin bin ich also nicht einfach nur dafür da, dass es „schön aussieht“. Ich erzähle durch visuelle Kommunikation Geschichten. Mein Ziel ist es, dass jemand zum Beispiel auf die Website meiner Kundin kommt und sofort ein Gefühl dafür bekommt, was sie für eine Coach ist – selbst wenn er oder sie die Sprache vielleicht gar nicht versteht. Es geht um das, was sie verkörpert, was ihre Werte sind – das soll sich direkt transportieren.
Und deshalb finde ich Archetypen so hilfreich. Sie wirken auf einer tieferen, emotionalen Ebene. Klar, Farben oder Typografie sind auch emotional, aber Archetypen haben nochmal diese ganz eigene Kraft. Selbst wenn man nicht weiß, was ein Archetyp ist, spürt man: „Okay, das fühlt sich nach Jeep an“ oder „Nee, ich bin mehr der Volvo-Typ.“ Man checkt das intuitiv.
Und das ist das Coole daran. Am Ende sage ich immer – jetzt kommt wieder so eine typische Sonja-Analogie –: Branding ist wie Wal-Gesang.
Gudrun: Jetzt bin ich auf die Erklärung gespannt.
Sonja Maichl: Ja, genau. Wale leben in sogenannten „Pods“ – ich weiß gar nicht, wie man das auf Deutsch nennt. Gruppen? Schwärme? Rudel klingt irgendwie falsch, das sind ja eher Landtiere. Aber jedenfalls: Es sind Gruppen von Walen, und diese Gruppen verständigen sich durch ihren Gesang. Das Interessante ist, dass verschiedene Whale Pods auf unterschiedlichen Frequenzen kommunizieren.
Wenn jetzt zum Beispiel ein Blauwal auf seiner spezifischen Frequenz singt, dann interessiert das einen Pottwal aus einer anderen Gruppe überhaupt nicht – vielleicht nicht mal einen anderen Blauwal aus einem anderen Pod. Ich bin jetzt keine Meeresbiologin, will also nicht behaupten, ich hätte das im Detail erforscht, aber so in etwa funktioniert das. Und ich finde, das lässt sich gut auf Menschen übertragen.
Wir Menschen haben auch solche „Frequenzen“, auf denen wir kommunizieren – nur eben nicht hörbar wie bei den Walen. Es ist eher eine energetische oder emotionale Ebene. Wir spüren, ob jemand „auf unserer Wellenlänge“ ist, ohne das genau benennen zu können. Und genau das ist beim Personal Branding extrem wichtig.
Wie viele Coaches gibt es da draußen? Tausende. Aber am Ende entscheidet man sich doch für die eine Person, mit der es einfach klickt. Warum? Weil die Frequenz passt. Und ich glaube, wenn man mit Archetypen arbeitet, macht man diese Frequenz sichtbarer – nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst.
Meine Kundin zum Beispiel wusste durch die Arbeit mit dem Archetypus genau, wen sie ansprechen will – und wer sie umgekehrt auch intuitiv verstehen wird. Das ist doch enorm wertvoll. Klar, man kann Branding auch ohne dieses Bewusstsein machen. Aber wenn man es bewusst gestaltet, ist es oft viel stärker, konsistenter – und fühlt sich auch für einen selbst stimmiger an. Ich schau grad noch, ob ich mir was notiert hab, was ich unbedingt sagen wollte…
Gudrun: Du benutzt die Archetypen also als eine Art Übersetzung oder Transformationshilfe. Denn wir Designer:innen können sehr schnell einschätzen: Passt die Schriftart? Passt die Farbe? Passt das Look and Feel zur Marke oder eben nicht? Aber für viele Kunden ist das oft nicht so einfach nachzuvollziehen.
Warum zum Beispiel ein bestimmtes Orange gerade nicht funktioniert – das kann man rein visuell schwer kommunizieren. Für uns ist das total klar, aber unser Gegenüber sagt dann vielleicht einfach nur „Ich mag Orange“, und wir denken: „Ja, aber welches Orange denn genau?“
Da helfen Archetypen wirklich sehr, weil sie eine Sprache schaffen, die emotional funktioniert. Man kann dann sagen: „Dieser Archetyp ist eher klar, strukturiert, zurückhaltend – da funktioniert dieses Orange nicht.“ Das macht es greifbar. Und ich finde, das ist ein riesiger Vorteil bei der Kommunikation mit den Kunden.
Sonja Maichl: Toll ist, dass man mit Archetypen wirklich gut Dinge erklären kann. Ich hatte zum Beispiel mit einer Kundin den Fall, dass sie mir Designbeispiele gezeigt hat, in denen überall sehr große, fette Überschriften waren. Für sie selbst konnte ich das aber gar nicht so sehen. Also habe ich überlegt: Warum spricht sie das überhaupt an? Es geht ja nicht nur darum, dass sie die Schriftart oder den Look mag – das transportiert ja auch eine Bedeutung.
Und dann habe ich erkannt: Das ist eigentlich so ein typisches Hero Branding. Dieses „Ich bin mutig, präsent, laut, ich zeige mich“. Das sagt ja schon allein der Begriff „bold“. Und da war’s nicht nur bold, das war Schriftgröße 80 in extra black. Und ja, das kann cool aussehen. Aber es hat einfach nicht zu ihr gepasst, wie ich sie gesehen habe – für mich war sie viel eleganter, filigraner.
Trotzdem war klar: Sie hatte einen inneren Wunsch, sichtbar zu sein, sich zu zeigen. Und das ist ja auch total legitim. Als sie dann aber für sich klar benannt hat, dass ihr Archetyp der Sage ist – mit einem selbst gewählten Subtyp „die Streberin“ – war dieses „laut sein“ gar nicht mehr nötig. Sie hat durch diese Klarheit in ihrer Positionierung und ihrer Mission ganz natürlich Raum eingenommen. Da brauchte es kein „Ich bin Coach!!“-Plakat mehr.
Genau da helfen Archetypen: Wenn man versteht, was einen eigentlich anspricht – sei es ein bestimmter Look, eine Farbe oder eine Bildsprache – kann man besser entscheiden, ob es wirklich zu einem passt. Ich habe ihr z. B. gesagt: „Das wirkt für mich nach einem Hero-Ansatz – bist du das?“ Und sie meinte dann: „Nee, eigentlich nicht.“
Es ist wichtig, zu verstehen, warum jemand etwas mag. Manchmal ist es einfach nur eine Lieblingsfarbe – aber oft steckt mehr dahinter. Und ich hoffe natürlich, dass durch meine Kommunikation – dadurch, dass ich über solche Dinge spreche – sich eher Menschen bei mir melden, die ein tieferes Interesse haben.
Zum Beispiel kann man sagen: „Das Design würde besser zu einer Lover-Brand passen.“ Und wenn dann jemand etwas sehr Feminines, Weiches will, sage ich: „Nee, das bin ich nicht.“ Ich will Klarheit, Struktur, Wissen – nicht nur Ästhetik. Gleichzeitig darf es aber auch traditionsbewusst sein, ohne altbacken zu wirken.
Und das alles kann man mit Archetypen richtig gut fassen. Es ist nicht zwingend notwendig, mit ihnen zu arbeiten – aber sie liefern eine wunderbare zusätzliche Schicht. Ich stelle mir das wie eine Zwiebel vor, mit vielen Ebenen. Je mehr Schichten, desto greifbarer wird die Marke.
Natürlich spricht das nicht alle an. Aber das ist ja auch okay – dann passt es halt nicht.
Gudrun: Das stimmt. Sonja, wenn jetzt jemand zuhört und sagt: „Mega spannend, ich will mehr darüber wissen“ – was würdest du Designer:innen empfehlen, die sich in das Thema einarbeiten wollen? Wo findet man gute Grundlagen oder tiefergehendes Material?
Sonja Maichl: Es gibt inzwischen richtig viele Blogartikel, vor allem auf Englisch – da ist das Thema viel verbreiteter. Aber auch im deutschsprachigen Raum findet man mittlerweile einiges. Einfach mal „Brand Archetypen“ googeln – dann stößt man auf viele Menschen, die sich intensiv damit beschäftigen, auch im Kontext von SEO und Markenstrategie. Ich sollte selbst mal einen Blogartikel dazu schreiben – aber es gibt auf jeden Fall schon viel da draußen.
Es gibt auch kleine Online-Tests und Quizzes, die man zum Spaß machen kann. Die muss man nicht ernst nehmen, aber manchmal denkt man danach: „Oh, krass – stimmt ja eigentlich.“
Wenn man tiefer einsteigen will, habe ich zwei Buchtipps:
- „The Hero and the Outlaw“ – da werden die 12 Archetypen ausführlich erklärt, mit vielen Hintergrundinfos.
- „Archetypes in Branding: A Toolkit for Creatives and Strategists“ – das ist mein Liebling. Sehr visuell, sehr inspirierend. Es enthält auch Karten zu jedem Archetyp und Subtyp. Damit kann man wunderbar mit Kund:innen arbeiten.
Gerade diese Karten helfen, wenn Worte nicht ausreichen. Manchmal sieht man ein Bild und denkt sofort: „Ja, das bin ich.“ Ich arbeite zwar meistens online, aber wenn man vor Ort mit Menschen arbeitet, kann dieses haptische Element total hilfreich sein. Ich hab die Karten nie aus dem Buch rausgenommen – aus Angst, sie zu verlieren –, aber ich schaue immer wieder gern rein. Es ist eher ein Nachschlagewerk, das andere Buch ist mehr zum Durchlesen.
Gudrun: Sonja, wenn man jetzt sagt: „Ich will mich vernetzen oder austauschen“, wie erreicht man dich?
Sonja Maichl: Aktuell eigentlich nur über meine Website. Theoretisch bin ich auch auf Instagram, aber ich nutze den Account nicht aktiv und schaue da auch kaum rein. Ich hab einfach gemerkt: Das ist nicht mein Medium.
Wenn jemand Lust hat, sich mit mir auszutauschen, freue ich mich über Mails oder Termin-Anfragen über meine Website. Ich mag es, wirklich ins Gespräch zu kommen. Und wenn das dann mal eine Stunde Zoom ist, ist das völlig okay – Hauptsache, es entsteht ein echter Austausch.
Ich will nicht so dieses typische: „Drei Nachrichten auf Insta und dann kommt direkt ein Pitch.“ Wenn jemand ernsthaft Interesse hat, freue ich mich. Aber bitte nicht „Copy-Paste-Nachrichten“ wie: „Hey, ich liebe deine Vibes“.
Gudrun: Vielen Dank für diesen lebendigen Einblick, Sonja. Ich fand das super spannend – auch deine Buchtipps – und danke dir für das tolle Interview!
Sonja Maichl: Vielen Dank, dass ich da sein durfte! Ich hoffe, ich konnte ein bisschen Begeisterung für das Thema wecken. Für mich war das super bereichernd, und wenn jetzt jemand sagt: „Wow, das klingt spannend, da will ich mehr drüber wissen“, dann hat es sich gelohnt!