Schon beim ersten Gespräch am Telefon hast du so ein komisches Gefühl. Genau kannst du es gar nicht definieren, aber dein Bauchgefühl sagt dir, dass dieses Projekt wahrscheinlich nicht das Beste werden wird. Dabei spricht formal betrachtet gar nichts gegen den Job und du willst den Auftrag nicht ablehnen. Oder doch? Die Entscheidung fällt schwer. Also schiebst du deinen ersten Eindruck beiseite und nimmst den Job an.
Und was passiert?
Genau das, was du schon befürchtet hattest:
Der Auftrag ist zäh, die Kommunikation mit dem Auftraggeber läuft nur schleppend und mit unzählige Korrekturen. Vielleicht ist der Job auch nur unfassbar langweilig oder es kommt im schlimmsten Fall zu Streitigkeiten wegen der Bezahlung. In jedem Fall denkst du dir zum Schluss: „Hätte ich mal auf mein Bauchgefühl gehört“.
Die wahren Kosten eines unpassenden Auftrags
Bevor wir zu den konkreten Situationen kommen, in denen du besser ablehnen solltest, lass uns kurz über die wahren Kosten eines falschen „Ja“ sprechen. Wenn du einen Auftrag annimmst, der nicht zu dir passt, zahlst du oft einen viel höheren Preis als nur die investierte Zeit:
- Energieverlust: Ein problematischer Auftrag raubt dir unverhältnismäßig viel Energie, die dir dann für andere Projekte fehlt
- Kreativitätsblockaden: Die ständige Frustration kann deine kreative Arbeit auch bei anderen Projekten beeinträchtigen
- Opportunitätskosten: Während du dich mit dem problematischen Auftrag abmühst, verpasst du möglicherweise bessere Gelegenheiten
- Reputationsrisiko: Ein Projekt, bei dem du nicht dein Bestes geben kannst oder willst, könnte deinem professionellen Ruf schaden
Diese versteckten Kosten übersteigen oft bei weitem das Honorar, das du für den Auftrag erhältst. Daher ist es so wichtig, von Anfang an die richtigen Entscheidungen zu treffen.
4 typische Situationen, in denen du Aufträge ablehnen solltest
Ja, es gibt sie wirklich: Diese kurzen Momente, in denen du ganz klar weißt, dass du besser die Finger von dem Designauftrag lassen solltest. Doch viel zu oft hörst du dann nicht auf deine Intuition, sondern machst es trotzdem. Damit dir das beim nächsten Mal nicht wieder passiert, hab ich hier vier hilfreiche Fragen für dich, die dir bei der Entscheidung für oder gegen den Auftrag helfen.
#1 – Ist der Auftrag die Mühe wert?
Es gibt Designaufträge, die sind anstrengend, werden aber sehr gut bezahlt. Dann lohnt es sich in vielen Fällen den Auftrag anzunehmen. Denn du erarbeitest dir durch den anstrengenden Job genug Freiraum für andere spannendere Projekte. Vielleicht sind es freie Projekte, vielleicht kannst du dir so endlich die Zeit für deine Weiterbildung oder neue Techniken nehmen, die schon so lange ausprobieren willst. Diese Freiheit ist die Anstrengung wert.
Und es gibt Designjobs, von denen du so sehr profitierst, dass sie den Stress wert sind, den du haben wirst. Vielleicht knüpfst du während des Auftrags wertvolle Kontakte, triffst neue potenzielle Auftraggeberinnen oder kommst endlich an die Art von Jobs, auf die du dich schon sehr lange spezialisieren willst. Dann lohnt sich deine Mühe auch.
Falls der Auftrag aber weder das eine noch das andere ist, dann lass lieber die Finger davon.
Berücksichtige auch das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag
Ein wichtiger Aspekt, den viele Kreative übersehen, ist die realistische Einschätzung des tatsächlichen Zeitaufwands. Mache dir die Mühe und kalkuliere ehrlich, wie viele Stunden du voraussichtlich in das Projekt investieren wirst – und vergiss dabei nicht die Zeit für Kundenkommunikation, Recherche und mögliche Überarbeitungen. Setze diesen Aufwand ins Verhältnis zum Honorar und überlege, ob dein Stundensatz dabei noch angemessen ist. Manchmal entpuppen sich vermeintlich lukrative Projekte als echte Zeitfresser, die dich unter dem Strich unter Wert bezahlen.
#2 – Erkennt der Kunde den Wert deiner Arbeit?
Deine Auftraggeber weiß alles besser, kennt sich mit allem aus und kann den Wert deiner Arbeit wenig bis gar nicht erkennen? Wenn dein Gegenüber so ist, dann nichts wie weg.
Es ist fast unmöglich, mit jemanden gut zusammenzuarbeiten, der nicht bereit ist, dich deine Arbeit machen zu lassen. Da hilft dann auch alles Geld der Welt nicht, um den Auftrag und die Zusammenarbeit zu retten.
Achte auf frühe Warnsignale in der Kommunikation
Bestimmte Ausdrucksweisen und Verhaltensweisen in den ersten Gesprächen können bereits auf eine schwierige Zusammenarbeit hindeuten:
- Der potenzielle Kunde nennt dich oder deine Arbeit „teuer“, ohne den Wert zu verstehen
- Er vergleicht dich ständig mit billigeren Alternativen („Auf Fiverr kostet das nur…“)
- Deadlines werden bereits vor Projektbeginn als „nicht verhandelbar“ dargestellt
- Es fehlt an Respekt für deinen kreativen Prozess und deine fachliche Expertise
- Der Kunde erwartet umfangreiche Vorarbeiten oder Konzepte ohne Bezahlung
- Unklare oder sich ständig ändernde Anforderungen schon im Erstgespräch
Diese Warnzeichen können dir helfen, frühzeitig zu erkennen, ob ein Kunde deine Arbeit wertschätzen wird oder nicht.
#3 – Würdest du den Auftrag in deinem Portfolio zeigen?
Es gibt die Highlight-Jobs, die dich so begeistert haben, dass du sie am liebsten jedem potenziellen Kunden zeigen würdest. Der Auftraggeber war toll, das Thema war inspirierend und das fertige Design erstrahlt jetzt stolz auf Seite 1 in deinem Portfolio. Das sind die richtig coolen Designaufträge.
Daneben gibt es die typischen Designjobs, die gut und solide sind. Auch wenn sie es wohl nie schaffen, zu deinen Lieblingsreferenzen aufzusteigen. Diese Aufträge sind völlig in Ordnung und machen nach meiner Erfahrung den größten Teil unseres Designeralltags aus. Davon schaffen es nur ein paar in dein Portfolio.
Wenn die Anfrage, vor der du gerade sitzt, aber so ist, dass du das Ergebnis nie einem anderen zeigen würdest, dann lehne den Auftrag ab. Wirklich. Du steckst zu viel Zeit und Energie in dein Design-Business, um Jobs zu machen, die dir im Nachhinein unangenehm sind.
Denke langfristig an deine Markenpositionierung
Dein Portfolio ist mehr als nur eine Sammlung vergangener Arbeiten – es ist ein strategisches Instrument zur Positionierung deiner Marke. Jedes Projekt, das du annimmst, formt die Wahrnehmung deiner zukünftigen Kunden. Frage dich deshalb:
- Zieht dieser Auftrag die Art von Kunden an, mit denen ich in Zukunft zusammenarbeiten möchte?
- Stärkt das Projekt meine Position in dem Bereich, in dem ich wachsen will?
- Würde ich stolz sein, wenn potenzielle Traumkunden dieses Projekt sehen?
Eine klare Portfolio-Strategie kann dir dabei helfen, gezielter „Nein“ zu sagen und deine Karriere in die gewünschte Richtung zu lenken.
#4 – Passt der Auftrag zu deiner Spezialisierung?
Einfach jeden Auftrag annehmen, der kommt, bringt weder dich noch deine Kunden weiter. Nur wenn der Job dich wirklich inspiriert, kannst du das Beste für dich und deine Auftraggeber herausholen. Weil du das weißt, hast du deine Spezialisierung festgelegt.
Wenn du eine Anfrage für ein Logodesign bekommst, du aber eigentlich gar keine Logos machen willst, dann ist es besser, wenn du diesen Auftrag ablehnst. Selbst bei gut bezahlten Jobs und tollen Kunden kann es sein, dass der Auftrag einfach nicht zu dir und deinen Zielen passt.
Sag in diesen Fällen „Nein“ zu dem Auftrag. Vielleicht kennst du ja eine andere Designer:in, die super zu dem Auftrag passt. Dann kannst du den Auftrag weitervermitteln.
Bedenke, dass Spezialisierung ein Prozess ist
Deine Spezialisierung entwickelt sich über die Zeit und wird stärker, je konsequenter du sie verfolgst. Jedes Mal, wenn du einen Auftrag annimmst, der nicht zu deiner Spezialisierung passt, verzögerst du diese Entwicklung. Ein einfacher Trick ist die 80/20-Regel: Strebe an, dass mindestens 80% deiner Aufträge in deinen Spezialisierungsbereich fallen. Die restlichen 20% können Ausnahmen sein – etwa besonders lukrative Projekte oder Aufträge für Stammkunden, die du nicht enttäuschen möchtest.
Die Psychologie des Ablehnens: Warum es uns so schwerfällt
Es ist wichtig zu verstehen, warum wir oft „Ja“ sagen, obwohl unser Bauchgefühl „Nein“ schreit. Typische psychologische Barrieren sind:
- Verlustaversion: Die Angst, eine Einnahmequelle zu verlieren, auch wenn sie problematisch ist
- Konfliktscheue: Der Wunsch, keine Enttäuschung zu verursachen oder „nett“ zu sein
- Impostor-Syndrom: Das Gefühl, nicht genug Aufträge zu verdienen und jeden nehmen zu müssen
- Unrealistischer Optimismus: Die Hoffnung, dass es „dieses Mal anders wird“, obwohl alle Anzeichen dagegensprechen
Diese Faktoren zu erkennen kann dir helfen, bewusstere und gesündere Entscheidungen zu treffen. Erinnere dich in solchen Momenten daran, dass du als Selbstständige nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hast, deine Ressourcen und deine mentale Gesundheit zu schützen.
Intuitive Entscheidungen sind schneller und darum effektiver
Die vier Fragen helfen dir bei deiner Entscheidung für oder gegen den neuen Auftrag. Aber eigentlich musst du dir diese Fragen gar nicht unbedingt stellen, denn intuitiv weißt du schon, ob du den Auftrag ablehnen solltest oder nicht.
Wenn du eine Entscheidung treffen musst, dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig. Dein Kopf nimmt die Fakten wahr:
- Aufgabenstellung
- Deadline
- Umfang
- etc.
Gleichzeitig reflektiert dein Kopf aufgrund deiner Erfahrungen und Erkenntnisse, ob das angebotene Projekt zu deinen Leistungen passt. Rein objektiv gesehen kannst du jetzt schon eine passende Entscheidung fällen.
Gleichzeitig passiert aber noch etwas anderes, dass sich weit weniger einfach auf den Punkt bringen lässt. Deine Intuition bewertet die Jobanfrage nach zwischenmenschlichen Faktoren:
- Gibt es Sympathien zum Auftraggeber?
- Passt der Auftraggeber vom Typ zu dir?
- Kann das Projekt gut werden, auch wenn auf den ersten Blick die Voraussetzungen nicht optimal sind?
- etc.
Genau das ist der Grund, warum dein Bauchgefühl dir von Projekten abrät, die doch rational betrachtet gut zu deinen Leistungen passen.
Ob du deine Entscheidungen eher intuitiv oder rational fällst, ist vor allem eine Typfrage. Da gibt es auch kein richtig oder falsch. Nur völlig übergehen solltest du deine Intuition nicht, da sie dir erfahrungsgemäß dabei hilft, die richtigen Entscheidungen zu fällen.
Der Wirtschaftswissenschaftler Jon Aarum Andersen hat diesem Thema eine ganze Studie gewidmet und 200 Führungskräfte aus acht Unternehmen zu ihrem Entscheidungsverhalten befragt. Herausgekommen ist, dass die meisten Befragten ihre Entscheidungen intuitiv fällen, dadurch effektiver entscheiden und somit erfolgreicher sind.
Intuition trainieren – so geht’s
Deine Intuition basiert auf Erfahrungen und unbewussten Mustern, die du im Laufe deiner Karriere gesammelt hast. Je mehr Erfahrung du hast, desto zuverlässiger wird in der Regel deine Intuition. Du kannst sie aber auch gezielt trainieren:
- Führe ein „Projekttagebuch“, in dem du zu Projektbeginn dein Bauchgefühl notierst und am Ende überprüfst, ob es richtig lag
- Reflektiere vergangene Projekte – welche waren erfolgreich, welche schwierig, und welche Muster erkennst du?
- Tausche dich mit Kolleg über ihre Erfahrungen aus
- Nimm dir bei wichtigen Entscheidungen bewusst einen Moment Zeit, um auf dein Bauchgefühl zu hören
Mit zunehmender Berufserfahrung wirst du feststellen, dass deine Intuition immer treffsicherer wird – ein wertvolles Werkzeug für deine unternehmerischen Entscheidungen.
Aufträge ablehnen – wie sagst du es dem Kunden?
Wenn die Entscheidung gefallen ist, sage deiner Kund:in so schnell wie möglich Bescheid. Absagen werden ja nicht dadurch leichter, dass du sie auf die lange Bank schiebst.
Es gibt verschiedene Wege, um Aufträge professionell abzulehnen.
- Wenn der Auftrag nicht zu dir und deinen Leistungen passt, dann kannst du das auch genauso zu deinen Kunden sagen.
Bis jetzt waren alle Auftraggeber dankbar, wenn ich so ehrlich und offen zu ihnen war und ich bin in gutem Kontakt mit ihnen geblieben. - Fehlende freie Kapazitäten sind auch ein guter und nachvollziehbarer Grund, warum du den angebotenen Job nicht übernehmen kannst.
Du willst den Auftrag ablehnen, kennst aber eine Designerin oder einen Kreativen, die perfekt für den Job wäre? Dann biete dem Kunden an, den Auftrag weiterzuvermitteln und stelle den Kontakt zu dem passenden Kreativen her. Damit hilfst du nicht nur dem Auftraggeber, sondern auch deinen Design-Kollegen.
Formulierungshilfen für professionelle Absagen
Das Ablehnen will gelernt sein. Mit den richtigen Formulierungen kannst du höflich, aber bestimmt absagen, ohne Brücken zu verbrennen:
- Die ehrliche, aber wertschätzende Absage:
„Vielen Dank für Ihre Anfrage und das Vertrauen in meine Arbeit. Nach sorgfältiger Überlegung muss ich Ihnen leider mitteilen, dass ich das Projekt nicht übernehmen kann, da es nicht optimal zu meinem Spezialisierungsbereich passt. Um Ihnen die bestmögliche Qualität zu garantieren, möchte ich Sie lieber an Kolleg verweisen, die genau auf diesen Bereich spezialisiert sind.“ - Die zeitliche Absage:
„Ich bedanke mich sehr für Ihre Anfrage. Leider sind meine Kapazitäten in dem von Ihnen gewünschten Zeitraum bereits vollständig ausgelastet, und ich könnte Ihrem Projekt nicht die Aufmerksamkeit widmen, die es verdient. Gerne können wir über einen späteren Zeitpunkt sprechen, oder ich empfehle Ihnen gerne Kolleg, die aktuell verfügbar sind.“ - Die Budget-Absage:
„Herzlichen Dank für Ihre Projektanfrage. Ich habe mir Ihre Anforderungen genau angesehen und muss feststellen, dass ich das Projekt mit dem angegebenen Budget leider nicht in der Qualität umsetzen kann, die Sie verdienen und die ich für meine Arbeit garantieren möchte. Falls Sie Interesse haben, bin ich gerne bereit, über ein angepasstes Projektvolumen oder alternative Lösungswege zu sprechen.“
Behalte bei all diesen Formulierungen im Hinterkopf: Eine professionelle Absage kann der Beginn einer langfristigen Beziehung sein. Viele Kunden kommen später mit passenden Projekten zurück, gerade weil sie deinen professionellen Umgang und deine Ehrlichkeit schätzen.
Dein Business, deine Regeln: Welche Aufträge du ablehnst, entscheidest du ganz alleine
Sowohl gute als auch schwierige Projekte bleiben dir im Kopf. Und auch der finanzielle Aspekt spielt eine Rolle. Denn wenn du beispielsweise einen „unsympathischen“ Job annimmst, weil er sehr gut bezahlt ist, dann ist das durchaus ein Grund dafür, dass das gesamte Projekt einen guten Eindruck bei dir hinterlassen hat.
Umgedreht gilt natürlich das Gleiche: Tolle Jobs, bei denen du nichts verdienst, bringen dich auch nicht weiter.
Wenn dir deine Erfahrung und deine Intuition aber ganz klar von einem Projekt abraten, dann ist es besser, den Auftrag abzulehnen. Vergiss nie: Welche Aufgaben du übernimmst und welche nicht, bestimmst du ganz alleine. Immerhin bist du der Boss. 🙂
Eine Strategie für nachhaltiges Wachstum entwickeln
Jedes „Nein“ zu einem unpassenden Auftrag ist im Grunde ein „Ja“ zu deiner langfristigen Geschäftsentwicklung. Um diese Perspektive zu stärken, lohnt es sich, eine klare Strategie zu entwickeln:
- Definiere deine idealen Aufträge: Erstelle ein schriftliches Profil deiner Wunschprojekte und -kunden. Was macht dich glücklich? Bei welchen Aufträgen kannst du dein volles Potenzial entfalten?
- Setze klare Mindeststandards: Lege konkrete Kriterien fest, die jeder Auftrag erfüllen muss (Mindesthonorar, Zeitrahmen, Entscheidungsfreiheit etc.)
- Plane deine Kapazitäten bewusst: Reserviere Zeit für Wunschprojekte und lukrative Aufträge, anstatt den Kalender mit mittelmäßigen Jobs zu füllen
- Evaluiere regelmäßig: Überprüfe vierteljährlich dein Auftragsportfolio – welche Projekte haben dich weitergebracht, welche haben dich ausgebremst?
Mit einer solchen strategischen Herangehensweise wird das Ablehnen unpassender Aufträge von einer gefürchteten Notwendigkeit zu einem kraftvollen Werkzeug für deine berufliche Entwicklung.
Denk immer daran: Jedes „Nein“ schafft Raum für ein besseres „Ja“. Deine kreative Energie und Zeit sind begrenzte und wertvolle Ressourcen – setze sie mit Bedacht ein.